- Wycliffe und Hus: Vorboten der Reformation
- Wycliffe und Hus: Vorboten der ReformationDas ausgehende Mittelalter zeigt - neben den unübersehbaren Anzeichen des institutionellen Verfalls - auch eine Reihe von Indizien für das Anbrechen einer neuen Zeit. Die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst um die Macht hatte das Königtum weitgehend für sich entscheiden können, sodass die spätmittelalterlichen Herrscher, allen voran der französische König, inzwischen unbestrittene Herren der Kirche waren. Faktisch hatte sich das landeskirchliche Prinzip der sich anschließenden Reformationszeit bereits weitgehend durchgesetzt. An diesem aufkommenden nationalen Denken entzündete sich eine Reihe von Häresien und Aufständen, deren Neuartigkeit und Popularität nicht zuletzt auf der Grundforderung beruhte, die Kirche von fremder Einflussnahme zu befreien.Im England des 14. Jahrhunderts formierte sich der Widerstand gegen die frankreichfreundliche Politik der päpstlichen Kurie in Avignon im Gefolge des Hundertjährigen Krieges. Dies führte zum kirchengeschichtlich einzigartigen Fall, dass ein Universitätslehrer zum Führer einer Volksbewegung gegen die Kirche wurde. John Wycliffe, ein Theologieprofessor in Oxford, suchte die staatliche wie finanzpolitische Machtposition Avignons zurückzudrängen und stellte dadurch die Basis des gesamten kirchlichen Herrschaftssystems seiner Zeit in Frage. Für seine Auffassung, die »Rechtmäßigkeit« sei das einzige Argument, das Herrschaft und Eigentum legitimieren könne, fand er Rückhalt bei der englischen Krone und dem Parlament. Auf der Grundlage einer konsequenten Rückbesinnung auf die Bibel stellte er der mächtigen und reichen Kirche seiner Zeit die MittellosigkeitJesu und die herrschaftsfreie Urkirche gegenüber. Das in der Heiligen Schrift niedergelegte»»Gesetz Gottes« erklärte er zur maßgeblichen Richtschnur für die Gläubigen aller Schichten. Mit dem Abrücken vom apostolischen Leben in der Nachfolge Christi habe die Kirche gegen die Lehnstreue, die sie Gott schuldet, verstoßen und infolgedessen alle ihre göttlich legitimierten Herrschafts- und Besitzrechte verwirkt. Damit stünde es der weltlichen Macht frei, Kirchengüter zu enteignen und eine neue geistliche Kirche zu etablieren. Zunächst wandte sich Wycliffe gegen Missstände in Klerus und Klöstern und verteidigte die staatlichen Eingriffe in die kirchlichen Privilegien wie zum Beispiel die Verweigerung des päpstlichen Lehnszinses und die Besteuerung der Kirchengüter durch die Krone.Während er langsam den Rückhalt bei seinen Universitätskollegen verlor, verbreiteten arme Wanderprediger, die Lollarden, seine Ideen im einfachen Volk. Hierzu leistete auch die auf Anregung Wycliffes zurückgehende Übersetzung der Bibel in die Volkssprache ihren Beitrag. Seine Unterstützung durch breite Volksschichten bröckelte erst 1381 langsam ab, als Bauern zur gewaltsamen Landnahme übergingen und soziale Unruhen auslösten. Trotz diverser kirchlicher Verurteilungen konnte Wycliffe seine Lehre unter dem Schutz bedeutender Persönlichkeiten fortentwickeln. Neben der Oberhoheit des Papstes verwarf er schließlich auch den Zölibat, die Vorstellung von der Wesensverwandlung von Brot und Wein (die Transsubstantiation), die Ohrenbeichte und schließlich - angesichts der Doppelpapstwahl von 1378, die das »Abendländische Schisma« einleitete- die Institution des Papsttums als solche. Zu Lebzeiten konnte man Wycliffe offenbar nichts anhaben. Erst das Konzil von Konstanz erklärte ihn 1415 postum zum Ketzer und ordnete die Verbrennung seiner Gebeine an.Eine zweite, von Wycliffe maßgeblich beeinflusste Bewegung auf dem Kontinent bündelte unter der Führung des Predigers Jan Hus die Reformbemühungen in Böhmen. Hus nahm die Ideen Wycliffes begierig auf und verbreitete sie in seinen Predigten, was ihm einen unerhörten Zulauf bescherte und auf derart breite Zustimmung stieß, dass man in ihm schon den »fünften Evangelisten« sah.Alexander V. suchte mit einer Bulle seine Predigttätigkeit zu unterbinden, sodass es zum Kampf gegen die Anhänger Wycliffes, zu Predigtverbot und Bücherverbrennungen kam.Hus ließ sich trotz päpstlichen Banns nicht beirren und setzte seine Tätigkeit mehrere Jahre ungerührt fort. Im Gegensatz zu Wycliffe richteten sich die Angriffe Hus' bald auch gegen die weltliche Führung. Erst als sich die theologische Fakultät der Prager Universität gegen ihn wandte, stellte er sich dem Konstanzer Konzil. Auch dort vertrat er seine Lehre von einer hierarchiefreien Kirche, deren Haupt Christus sei: Das Papsttum habe erst mit Konstantin begonnen und sei folglich entbehrlich. Als er trotz der Zusicherung freien Geleites durch Kaiser Siegmund festgenommen, verurteilt und 1415 schließlich verbrannt wurde, entlud sich der aufgestaute Hass seiner Landsleute in regelrechten Kriegen gegen das deutsche Kaisertum und die römische Papstkirche. Doch weder das Konzil noch die von Siegmund als Kreuzzüge betriebenen Hussitenkriege von 1419 bis 1436 konnten sich gegen die nationalkirchliche Bewegung durchsetzen. Sie spaltete sich allerdings nach einer wechselvollen Geschichte in radikale Taboriten, benannt nach der von den Hussiten gegründeten Musterstadt Tabor«, und die gemäßigten Utraquisten mit ihrer Forderung nach dem Laienkelch. Nach der Niederlage der apokalyptisch-sozialrevolutionären Taboriten im Jahre 1434 kam es zu einem allmählichen Ausgleich. Die Utraquisten etablierten sich als landesfürstlich verfasste Sonderkirche der »Böhmischen Brüder«.Der Erfolg von Wycliffe und Hus lässt sich nur dadurch erklären, dass sie die ohnehin schwelenden sozialen Konflikte aufgreifen und gleichzeitig Hoffnungen bei der ländlichen Bevölkerung wecken konnten, die ein Jahrhundert später im Bauernkrieg von 1525 wieder aufflammen sollten. Ihr nationales Anliegen und ihre Kirchenkritik waren Vorboten der weit reichenden Auseinandersetzung, die den Übergang zur Neuzeit einleitete, der Reformation.Dr. Ulrich RudnickÖkumenische Kirchengeschichte, herausgegeben von Raymund Kottje und Bernd Moeller. Band 2: Mittelalter und Reformation, bearbeitet von Remigius Bäumer u. a. Mainz u. a. 51993.
Universal-Lexikon. 2012.